Bringschuld ist ein Begriff aus dem Kaufvertragsrecht und meint eine Schuld, die am Wohnort des Gläubigers zu begleichen ist, indem der Schuldner die Sache/Leistung beim Gläubiger erbringt. Haben die Vertragspartner beispielsweise bei einem Autokauf eine Bringschuld vereinbart, dann muss der Verkäufer (der Schuldner) das Kfz beim Käufer (dem Gläubiger) abliefern.
Vor kurzem hat der Begriff insbesondere im Zusammenhang mit dem Thema Migration Einzug in den allgemeinen Wortschatz gehalten. Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) spricht von der „Bringschuld der Migranten, von denen sie mehr Einsatz und mehr Verantwortung für Deutschland fordert. Die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) will für eine erfolgreiche Integration auch die Zuwanderer in die Pflicht nehmen: „Es ist eine Bringschuld, Deutsch zu lernen, seine Kinder in die Kita zu schicken, sich mit dem deutschen Schulsystem auseinanderzusetzen und seine Kinder dort nicht untergehen zu lassen“.
In einer übertragenen (und gleichzeitig verflachten) Bedeutung taucht der Begriff jetzt auch im online-Duden auf. Als Beispiel steht dort: der Verein hat gegenüber den Fans eine Bringschuld (Verpflichtung, etwas zu erbringen, zu leisten). Hier ist der Wohnort des Gläubigers, der im Zusammenhang mit dem Thema Migration noch eine große Rolle spielt, schon irrelevant denn nicht alle Fans des Vereins sind Einwohner derselben Stadt, und die Verpflichtung, Leistung zu erbringen, gilt nicht nur bei Heim-, sondern auch bei Auswärtsspielen.
In der vom Duden beschriebenen Bedeutung hat auch Joachim Löw vor ein paar Tagen bei einer Pressekonferenz in Danzig den Begriff der Bringschuld verwendet, und zwar im Zusammenhang mit dem (Fehl-)Verhalten Jérôme Boatengs unmittelbar vor Antritt der Reise ins EM-Quartier. Boateng ist in einer Bringschuld (stern.de, Hamburger Abendblatt, WZ, etc.), soll er gesagt haben, bzw. „Selbstverständlich hat er eine Bringschuld. Er muss in der Lage sein, sich in den nächsten Wochen zu zerreißen“ (Handelsblatt, ran, etc.). Vielleicht hat Löw ja beides gesagt egal. Gemeint war jedenfalls, dass Boateng sein Verhalten durch hervorragende Leistungen beim Turnier wiedergutmachen muss.
Leider kam es, wie es kommen musste: Der Begriff ist zum dummdeutschen Selbstläufer geworden: Nachdem Boateng gestern gegen Portugal gut gespielt (oder: seine Schuld durch das Erbringen einer guten Leistung beglichen) hat, ist heute in fast jeder Zeitung der auf dem Mist der dpa gewachsene Unsinn zu lesen: „Bringschuld erbracht“.
Eben auf Titel, Thesen, Temperamente: Herr Mohr spricht en passant über die Bringschuld der Fußballer, Holschuld, und dass wer liefern will; dann nochmal Bringschuld.
Dies Blog erwähnt er aber nicht als Ideengeber, und die Indizien sind auch etwas schwach. 🙂
Ganz am Ende der Sendung, wenn es jmd. i.d. Mediathek prüfen will, letzte 2 min.
Habe noch zwei sehr unschöne Beispiele gefunden:
Am 10. Juni 2012 war im Handelsblatt zu lesen:
Weidmann erhöht Spaniens Bringschuld
Bundesbankchef Jens Weidmann verlangt Madrid höhere Anstrengungen im Gegenzug für Hilfsgelder der Euroländer ab. Neben der Reform seines Bankensektors müsse Spanien auch seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Bundesbankchef Jens Weidmann pocht darauf, dass Spanien als Gegenleistung für europäische Hilfsgelder für seine maroden Banken auch Strukturprobleme beherzt angeht. „Die spanische Regierung kann darauf bauen, dass Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden – gegen Auflagen“, sagte Weidmann am Sonntagabend in der ARD.
http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/euro-rettungsschirm-weidmann-erhoeht-spaniens-bringschuld/6733346.html
Im Text ist gar keine Rede von Bringschuld vielleicht zitiert der Redakteur nicht Weidmann, sondern hat das Wort ohne nachzudenken in den Titel gesetzt, weil es derzeit in aller Munde ist. Hier passt es nun aber gar nicht. Wenn man schon das Wort hätte verwenden wollen, dann wäre zur Not Weidmann sieht Spanien in einer hohen Bringschuld gegangen, obwohl es klarer und besser geheißen hätte: Weidmann nimmt Spanien in die Pflicht.
In der Morgenpost von heute schreitet die Sinnentleerung noch weiter voran:
Berlins Innensenator und CDU-Vorsitzender Frank Henkel hat das von der schwarz-gelben Bundesregierung beschlossene neue Meldegesetz verurteilt. «Ich halte die Widerspruchslösung für höchst problematisch», teilte Henkel am Montag mit. «Es ist völlig unangemessen, wenn jetzt der Bürger in der Bringschuld sein soll und einer kommerziellen Nutzung seiner Daten widersprechen muss.» Eine entsprechende Weitergabe sollte nur erfolgen dürfen, wenn die Bürger vorher explizit zugestimmt haben.
http://www.morgenpost.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/berlinbrandenburg_nt/article108178079/Neues-Meldegesetz-ist-hoechst-problematisch.html
Hier sind Wort und Sache ganz unangemessen. Es geht nicht mehr darum, dass jemand eine Leistung erbringen soll, zu der er zumindest moralisch verpflichtet IST (so war es bei den Migranten und bei Boateng). Nein, hier soll der Bürger verpflichtet WERDEN, dem Datenhandel aktiv zu widersprechen, wenn er nicht möchte, dass seine Adressdaten weitergegeben werden. Ist das etwa seine Schuld?